Projekttag KUW 9 Kirchliche Gassenarbeit in Bern

Zum ersten Mal führte unsere Kirchgemeinde einen Projekttag zur Kirchlichen Gassenarbeit durch. Auf dem Programm standen ein Mittagessen in einer traditionellen Berner Gassenküche sowie der Besuch in einer alten Autowerkstatt, welche der Kirchlichen Gassenarbeit in Bern als Büro dient. Im Bericht kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum grossen Teil selber zu Wort.

 

Direkt von der Schule bestiegen 18 unternehmungslustige Konfirmandinnen und Konfirmanden den Zug in Sumiswald, Grünenmatt und Burgdorf. Unter der Leitung von Pfr. Peter Schwab fuhren sie nach Bern. Alle waren sie gespannt, was dieser erstmals durchgeführte Tag wohl alles bringen würde. „Zuerst dachte ich, es wird sicher langweilig, aber es war ziemlich spannend.“
In Bern angekommen fuhren wir per Trolleybus in die untere Altstadt. Der Eingang zur alten Gassenküche lag in der oberen Gerechtigkeitsgasse fast etwas verborgen.
Die „Spysi“ wurde 1877 gegründet mit dem Ziel „ der hilfsbedürftigen Bevölkerung während der Winterszeit gesunde Nahrung zu vorteilhaftem Preis anzubieten“ (Auszug aus den Statuten von 1877, Art. 1). Lehrlinge, Studenten, Alleinstehende, Arbeitslose und Pensionierte finden in der „Spysi“ eine warme Mahlzeit in gemütlicher Atmosphäre. Dank vielen Besucherinnen und Besuchern mit regulärem Einkommen und einer grossen Schar von freiwilligen Helferinnen können die Konsumationskosten recht niedrig gehalten werden.
 
Als Trägerorganisation teilen sich verschiedene Quartierleiste die Verantwortung, ein Verein sorgt für Organisation und Administration der Gassenküche. All diese Informationen erhielten wir in einem informativen Referat von einem Vorstandsmitglied.
„Es hat mit einem guten Zmittag angefangen und endete mit einem spannenden Vortrag über die Gassenarbeiter.“ Um die feine Berner Platte zu verdauen, spazierten wir durch die Altstadtgassen zum Münster. Über dem grossen Eingangsportal bestaunten wir das sogenannte „Jüngste Gericht“. Die Skulptur führt deutlich vor Augen, wie sich die mittelalterliche Kirche ausgleichende Gerechtigkeit vorstellte. Dass eine solche sich nicht erst in aller Ewigkeit zu verwirklichen braucht, erlebten wir darauf im Erfahrungsbericht eines kirchlichen Gassenarbeiters.
„Es hat mir sehr gut gefallen. Walo Wenger hat es sehr interessant und spannend erklärt. Man konnte sich ein Bild machen von den Obdachlosen und sich gut vorstellen, wie es ihnen möglicherweise geht.“ Walo Wenger arbeitet mit zwei Kolleginnen, alle in Teilzeitanstellung, für die Kirchliche Gassenarbeit. Die 150 Stellenprozente werden durch die Gesamtkirchgemeinden in Bern, der katholischen und der reformierten sowie durch Spenden und Kollekten aus dem ganzen Kantonsgebiet finanziert. Eine ehemalige Autowerkstatt im Breitfeld dient ihnen als Büro und Stützpunkt. Zweimal die Woche ist die Werkstatt nachmittags geöffnet, am Dienstag jeweils ausschliesslich für Frauen. Alle Menschen unabhängig ihrer sozialen, ethnischen oder eben auch religiösen Herkunft können sich dort ganz praktische Hilfe und Beratung holen. Die meiste Zeit sind die Mitarbeitenden aber auf der Gasse anzutreffen, wo sie direkt vor Ort Obdachlose und andere bedürftige Menschen begleiten und betreuen. „Es hat gezeigt, wie es auf den Strassen in Bern so zu und her geht.“ „Es war sehr interessant, Dinge über die Arbeit von Walo Wenger zu erfahren. Ich finde gut, was er und seine Kollegen machen. Es lohnt sich und ist sehr gut, dass jemand diesen Leuten hilft.“
Das Interesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigt sich schon allein daran, dass das geplante Inputreferat von zwanzig Minuten letztendlich fast eine Stunde dauerte, die Aufmerksamkeit war ungebrochen und Walo Wenger verstand es sehr gut, seine Zuhörerinnen mit gezielten Fragen und Beobachtungsaufgaben bei der Stange zu halten. So war der Ausgangspunkt des ganzen Nachmittgs der simple Auftrag, ob jemand seit der Ankunft in Bern bereits einen obdachlosen Menschen gesehen hat und woran man das überhaupt erkennt. Dass diese Menschen nicht mehr allzu häufig anzutreffen sind, hat auch mit der rigorosen Wegweisungs- und Sicherheitspolitik der Stadt zu tun. Viele stecken statt in der Öffentlichkeit irgendwo in einer Billigwohnung, manchmal zehn Personen in einem 1 1/2-Zimmerlogis.
„Es war interessant zu erfahren, was die Gassenarbeit ist und mit welchen Leuten sie zu tun haben.“
Der zweite Teil des Nachmittages war dann eine noch mehr praxisbezogene Gruppenarbeit. Walo Wenger verteilte Plastiksäcke mit verschiedensten Utensilien, wie sie von Obdachlosen irgendwo in der Stadt hätten verloren sein können. Jede Gruppe versuchte sich darauf ein Bild von der Besitzerin oder des Besitzers dieser Tasche zu machen, wie sein oder ihr Leben bisher ausgesehen hat und in welcher Situation sie gerade steckt. Bei der Präsentation der Arbeit verstand es Walo immer wieder, Themen wie Randständigkeit, Suchtmittelkonsum und andere Gesundheitsrisiken anzusprechen, mit denen die Jugendlichen zum Teil bereits konfrontiert sind oder mit denen sie sich über kurz oder lang auseinandersetzen müssen. Wir staunten nicht schlecht, dass sich hinter all den Plastiksackgeschichten ein Lebensschicksal eines Menschen verbirgt, den Walo von seiner Arbeit auf der Gasse wirklich kennt.
„Walo Wenger hat super gesprochen. Es war spannend, ihm zuzuhören. Ich finde die Arbeit super, die diese Organisation verrichtet. Ich glaube auch, dass es für die Hilfesuchenden eine gute Sache ist. Dieser Besuch brachte eine ganz neue Sicht auf diese Randgruppen. Sie sind nicht mehr nur „lästig“. Man kann sie nun sogar etwas verstehen. Danke.“

„Der Ausflug war sehr gelungen und aufschlussreich, könnte man gerne wiederholen.“ „Mich dünkt, dass andere Klassen das auch machen sollten.“ „Ich empfehle diesen Ausflug weiter.“ So gesehen fällt das Urteil über diesen Projekttag einheitlich positiv aus und der Anlass dürfte wohl auch in Zukunft stattfinden.

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Pfarrer | Peter Schwab | Dorf 9 | 3456 Trachselwald | Telefon 034 431 11 52 | e-mail